Vergleichen ist menschlich

Vergleichen ist menschlich. Neid ebenso. Es muss sogar manchmal so sein. Ohne das wir Dinge miteinander vergleichen können wir nicht herausfinden ob es Unterschiede gibt. Dinge nicht einordnen. Positiver Neid bringt uns sogar weiter! Person X fährt ein tolles Auto. Ich möchte das auch, es spornt mich an mehr zu arbeiten um mir auch so ein schönes Auto kaufen zu können etc. Wo Neid und Vergleichen aber garnichts zu suchen hat ist beim Thema Babys und Kinder. Früher war es noch einfacher, denn man kannte nur eine handvoll Mütter mit gleichaltrigen Babys. Heutzutage ist dies dank den sozialen Netzwerken leider nicht mehr so. Da fängt es schon in der Schwangerschaft an. Wer hat den schönsten, größten und gepflegtesten Bauch? Wer hat am wenigsten zugenommen?

Vergleichen beginnt schon in der Schwangerschaft

Ich hatte mich damals in der 20 SSW bei Instagram angemeldet. Zu dieser Zeit war mein Bauch noch so klein, dass man ihn allerhöchstens für einen Blähbauch hätte halten können. Weil ich mein Bauchwachstum aber festhalten und beim berühmten #dickbauchdienstag mitmachen wollte, stellte ich ebenfalls Bilder ins Netz. Nachdem ich dann wochenlang Kommentare wie:“oh. du hast aber einen sehr sehr kleinen Bauch“ unter meinen Bildern finden konnte, fing ich selbst schon an zu zweifeln ob denn alles mit meinem Bauch stimmte. Nachdem dann mein Bauch auch endlich „plopp“ gemacht hatte ging es auch schon in die nächste Vergleichsrunde. Welches Baby im Bauch hat die besten Schätzwerte passend zur Schwangerschaftswoche (witzig eigentlich, denn sobald das Baby auf der Welt ist begreift man dann wie schwachsinnig diese Schätzwerte teilweise sind). Die Liste des Vergleichens ist natürlich ellenlang. Nur ein paar Beispiele: Wer hat die schönsten Sachen fürs Babyzimmer gekauft, ist am besten vorbereitet, lernt die besten Übungen im „Hechelkurs“, passt noch in seine alten Jeans, usw…! Alles in allem muss man aber sagen, dass die Frauen in der Schwangerschaft alle noch relativ nett zueinander sind und sich einfach gemeinsam an ihrer Schwangerschaft erfreuen. Anders sieht es dann aus wenn die Kinder zur Welt gekommen sind. Jetzt geht es darum welches Babys am besten zu- und welche am Mama abgenommen hat. Es werden Bilder ins Netz gestellt, die zeigen wie dünn die Mama schon wieder ist. Der #dickbauchdienstag weicht dem #afterbabybodyupdate. Die Mütter, die stillen fühlen sich denen überlegen die die Flasche geben (müssen). Die Flaschenmütter geben Kontra und berichten wie toll es ist, nur alle 4 statt wie die Stillenden alle 2 Stunden zu füttern.

Schläft dein Baby noch nicht durch?

Die nächste Phase ist dann erreicht wenn alle ihre „Heute habe ich zum ersten Mal durchgeschlafen“ – Karte zücken und wieder einmal berichten wie STOLZ sie doch alle sind (hier frage ich mich immernoch wie man auf Dinge stolz sein kann, die ein Baby unbewusst macht. Aber das ist ein anderes Thema). Es wird fröhlich aus dem Wochenbett gegrüßt, das Baby schläft ja soooo viel und ist so brav, dass Mama schon wieder shoppen gehen kann (es müssen ja schließlich Klamotten für den #afterbabybody her. Denn das ging ja sooo schnell mit dem Abnehmen, man ist erstaunt und wieder mal stolz).  Aber zurück zum Baby. Welches Baby wächst am schnellsten, hebt so gut das Köpfchen in Bauchlage, lächelt zuerst, brabbelt, kann ein Spielzeug halten und macht den Eltern generell am meisten Freude. Ich wollte in dieser Zeit kaum mehr einen Blick in die #Instamamawelt werfen. Denn mein Kind schlief nicht, wollte nachts oft alle 30 Minuten an die Brust, hatte schlimme Koliken und schrie jeden Abend stundenlang. Tagsüber schlief sie nur AUF mir ne ich hatte manchmal (nein. oft!) kaum Gelegenheit zu duschen. Lust auf Schminken und sich schick anziehen? Haha, davon war ich meilenweit entfernt. Dazu kam, dass ich einen heftigen Babyblues hatte und mich erstmal garnicht so recht mit diesem neuen Leben anfreunden konnte. Ich sah dann etwas später immer wieder wie die ersten Mütter schon ins Fitnessstudio rannten oder sich einen babyfreien Abend mit dem Partner gönnten. Beides war für mich nicht möglich, denn erstens war mein Baby nicht ablegbar und zweitens hatte ich keine Familie in der Nähe die mir das Kind hätte abnehmen können. Zunehmend wurde ich immer frustrierter. Befand ich mich schließlich bei allen Vergleichen, die da so stattfanden, auf der Verliererseite.

Beim Vergleich gibt es Gewinner und Verlierer

Doch eines Tages stand ich plötzlich auf der anderen Seite. Mein Kind hatte mit 4,5 Monaten tatsächlich einen Zahn bekommen. Bemerkt hatte ich das erst als der Zahn schon draußen war. Anders als die meisten Instamütter hatte ich nämlich nicht schon wochenlang vorher eine Prognose des Zahnungsverhaltens meines Kinds abgegeben. Denn mein Kind verhielt sich auch ohne Zahnen wie andere in der Zahnungsphase (man muss auch Vorteile haben wenn man ein Baby 2.0 hat). Puh, da war der Zahn also und ich natürlich STOLZ (haha, ja plötzlich war ich auch mal stolz). Die Reaktionen auf Instagram waren gemischt. Die Mütter, deren Babys auch schon Zähne hatten,  gratulierten. Die Mütter, die sich ihrer Aussage nach schon Wochen in der Zahnungsphase befanden, waren ungläubig. Ein Bild müsse es beweisen. Jaja, so ist das oft. Alles muss bewiesen werden. Erzählen könne man ja viel. Damals habe ich das erste Mal erlebt, wie es ist auf der anderen Seite zu stehen und habe dann aber begriffen wie lächerlich es ist sich mit Dingen in den Vergleich zu stellen, die man absolut nicht beeinflussen kann.

Online wachsen Leuten oft große Eier(-stöcke)

Und so ist das mit allem. Ich bin keine schlechte Mutter nur weil mein Kind nicht durchschläft und besonders viel (Mama-) Nähe braucht. Ich habe nicht versagt nur weil mein Kind ein Regulationsproblem hat. Jedes Kind ist einzigartig. Mütter die mehrere Kinder haben können das vermutlich gut verstehen. Meine Freundin hat Zwillinge. Während das eine Kind von Anfang an durchschläft, wacht das andere alle zwei Stunden auf. Seltsam oder? Haben die beiden doch die gleiche Mutter, sie sie auch gleich behandelt. Meine Freundin ist daher schon geerdet und stellt sich dem Konkurrenzgehabe schon erst garnicht. Aber ich habe das Gefühl, dass so manche Mutter einen Höhenflug erlebt wenn ihr (erstes) Kind so ein Bilderbuchbaby oder man nennt es heute #anfängerbaby ist. Klar, für diese Mutter ist es schwer vorstellbar, dass ein Kind nicht „einfach so“ einschläft oder mal ein paar Minuten ruhig daliegt und sie währenddessen Sport machen oder sich schminken kann. Sie lebt dann in einer komplett anderen Welt als die Mutter, die nachts 5x wach ist und tagsüber das Kind immer im Tragetuch bei sich hat. Dennoch wachsen einem heute online riesen Eier(-stöcke) und es ist schon fast wie eine Krankheit, dass Mütter immer prahlen müssen wie STOLZ sie doch auf ihre Kids sind. Da traut sich eine übermüdete, ungeduschte Mutter mal offen ihr Leid zu klagen und anstatt Trost bekommt sie Kommentare wie „mh mein Kind schläft durch und ich finde es schon wichtig, dass man sich auch als Mutter gut pflegt“. Ja, so ist die Instawelt an ihren schlechten Tagen.

Vergleichst du noch oder lebst du schon?

Natürlich möchte ich diese fabelhafte App nicht schlecht reden, hat sie ja auch genug positive Seiten. Im Bezug auf das Vergleichen der Kinder finde ich sie aber schrecklich. Denn selbst wenn man sich nicht vergleichen will, passiert dies automatisch. Ich wünsche nur jeder Mutter, dass sie auch einmal auf der „Verliererseite“ steht. Vielleicht wünsche ich genau der Mutter, deren Kind immer gut schläft und ihr den Alltag versüßt, dass es mit dem Krabbeln oder Zahnen später dran ist. Denn obwohl der Vergleich total schwachsinnig ist und die Mutter damit sicher kein „Verlierer“ ist wird sie an Dingen wie diesen sehen, dass man nicht vergleichen sollte und es nicht ihre Schuld ist, dass ihr Kind eben noch nicht krabbelt. Eigentlich sollte sie ja froh sein, denn dann hat sie schon wieder genug Zeit sich zu schminken 😉

 

Nachtrag: diesen Text habe ich verfasst als meine Tochter 6 Monate alt war und mich die Onlinewelt teilweise echt frustrierte. Zu dieser Zeit habe dann ein kleine Onlinepause eingelegt, welche mir sichtlich gut tat. Heute ist meine Tochter 11 Monate alt und ich bin weitaus entspannter (es existiert bereits schon ein „Nachfolgebeitrag„). Irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass die anderen Mütter entspannter geworden sind. Denn mittlerweile hatte jede mal miese Momente und stand mal vorne und mal hinten bei den erreichten Meilensteinen an. Und aktuell herrscht, zumindest in meinem Instagram Feed, überhaupt kein Konkurrenzkampf mehr (oder bin ich etwa so entspannt, dass es mir garnicht mehr auffällt? 😀 )!